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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.03.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 53/04
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 27
FGG § 46
Wechselt nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens die Zuständigkeit für ein Betreuungsverfahren, ist das Rechtsbeschwerdegericht zur Entscheidung über die eingelegte weitere Beschwerde berufen, das dem jetzt verfahrensführenden Vormundschaftsgericht übergeordnet ist.
Gründe:

I.

Das Vormundschaftsgericht bestellte für die Betroffene mit Beschluss vom 6.1.2003 eine Betreuerin für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge und Vermögenssorge. Anlass für die Entscheidung war, dass die Betroffene aufgrund gutachtlich festgestellter schizophrener Erkrankung nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten in den genannten Bereichen selbst wahrzunehmen. Gegen den amtsgerichtlichen Beschluss legte zunächst die weitere Beteiligte und mit Schreiben vom 4.6.2003 auch die Betroffene Beschwerde ein. Das Landgericht Berlin hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 29.8.2003 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung legte die weitere Beteiligte am 4.11.2003 weitere Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle des Kammergerichts ein. Das Amtsgericht A. hat mit Beschluss vom 12.1.2004 das Betreuungsverfahren übernommen, nachdem die Betroffene im Rahmen therapeutischer Maßnahmen in eine Einrichtung in dessen Geschäftsbereich umgezogen ist. Das Verfahren über die weitere Beschwerde wurde in der Folge an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung über die weitere Beschwerde berufen. Nach Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht A. wechselt auch die Zuständigkeit für die Entscheidung über die zulässig beim Kammergericht eingelegte weitere Beschwerde (vgl. BayObLGZ 1982, 261; 1985, 296; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. § 28 Rn. 1; Keidel/Engelhardt FGG 15. Aufl. § 46 Rn. 47). Einwände gegen die Zulässigkeit des eingelegten Rechtsmittels sind nicht ersichtlich. Die weitere Beteiligte hat insbesondere ein Beschwerderecht nach § 69g Abs. 1 FGG.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet.

Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers lägen vor. Die Betroffene könne wegen ihrer psychischen wahrscheinlich schizophrenen Erkrankung ihre Angelegenheiten nicht selbst in adäquater Weise besorgen. Sie sei nahezu vollständig unfähig, ihre Lebenssituation kritisch zu beurteilen und ihr Leben selbständig zu planen und zu führen. Zu Recht habe das Vormundschaftsgericht davon abgesehen, die Mutter, die weitere Beteiligte, zur Betreuerin zu bestellen, obwohl sich die Betroffene anlässlich ihrer Anhörung hierfür ausgesprochen habe. Der weiteren Beteiligten fehle es an der erforderlichen Eignung. Ihre Bestellung würde dem Wohl der Betroffenen nicht gerecht. Die Mutter unterhalte eine symbiotische Beziehung zur Betroffenen, die ihr keine Möglichkeit zur Entwicklung eines eigenständigen Lebens eröffne. Die weitere Beteiligte sei auch nicht in der Lage, das schwere Krankheitsbild ihrer Tochter und die Behandlungsbedürftigkeit zu erkennen. Da geeignete Personen aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen oder Personen, die zur ehrenamtlichen Führung der Betreuung bereit wären, als Betreuer nicht zur Verfügung stehen, habe das Vormundschaftsgericht eine Berufsbetreuerin bestellt.

3. Dies hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das Vormundschaftsgericht einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 BGB). Gegen den Willen des Betroffenen ist die Bestellung eines Betreuers nur zulässig, wenn der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLGZ 1994, 209/211; BayObLG FamRZ 2001, 1244; OLG Hamm FamRZ 2000, 494/496; OLG Köln FamRZ 2000, 908). Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. BayObLG BtPrax 2002, 38 m.w.N.).

Nach dem durch das Landgericht verfahrensfehlerfrei ermittelten und damit für den Senat bindenden Sachverhalt steht fest, dass bei der Betroffenen eine Entwicklungsverzögerung und mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine schizophrene Erkrankung vorliegt. Sie ist krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen und ist aus psychiatrischer Sicht als geschäftsunfähig anzusehen. Das Ergebnis der Begutachtungen und der Anhörungen ist, dass die Betroffene ohne Hilfe Dritter ihr Leben nicht meistern kann. Daher ist die Bestellung einer Betreuerin für die Betroffene für die angeführten Aufgabenkreise gegen ihren Willen zulässig und sachlich auch erforderlich.

b) Nach § 1897 Abs. 4 BGB ist dem ernsthaften und durch seinen natürlichen Willen getragenen Wunsch auch eines in seiner freien Willensbildung eingeschränkten Betroffenen nach einem bestimmten Betreuer grundsätzlich zu entsprechen. Er ist nur dann nicht zu beachten, wenn die Bestellung des gewünschten Betreuers dem Wohl des Betroffenen widerspricht (BayObLG BtPrax 2002, 165).

Die Vorschrift des § 1897 Abs. 4 BGB schränkt das Ermessen des Tatrichters bei der Auswahl des Betreuers ein. Er hat im Grundsatz die Person zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Wunsch des Betroffenen durch seine Krankheit beeinflusst ist. Dem Vorschlag des Betroffenen ist grundsätzlich und unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit zu entsprechen (BayObLG aaO). Auch bei Personen mit eingeschränkter Willensbildung ist ihr natürlicher Wille grundsätzlich vorrangig zu beachten. Erforderlich ist nur, dass der Betroffene einen ernsthaften, von seinem natürlichen Willen getragenen auf Dauer angelegten Wunsch geäußert hat (vgl. für Willensäußerungen geschäftsunfähiger Personen: BayObLG BtPrax 1993, 171; FamRZ 1994, 530/531; BtPrax 2002, 36/37; OLG Hamm FamRZ 1996, 1372).

Der Wunsch des Betroffenen kann allerdings unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der von ihm gewünschten Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies erfordert eine umfassende Abwägung aller Umstände. Die Nichtberücksichtigung des Vorschlags des Betroffenen setzt voraus, dass das Ergebnis der Abwägung deutlich gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person spricht (BayObLG BtPrax 2002, 165). Es muss die konkrete Gefahr (BayObLGZ 1996, 136 f.; BayObLG FamRZ 1997, 1360; BtPrax 2002, 36/37; OLG Brandenburg NJWE-FER 2001, 208) bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will.

Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die weitere Beteiligte als Betreuerin für die Betroffene ausscheidet. Es ist schon zweifelhaft, ob die Äußerung der Betroffenen bei ihrer Anhörung am 6.1.2003, ihre Mutter als Betreuerin zu wünschen, eine nachhaltige Willensäußerung darstellt. Dieser Wunsch ist bei weiteren Anhörungen von der Betroffenen nicht wiederholt worden. Auch der Kontakt zwischen der Betroffenen und ihrer bestellten Betreuerin zeigt, dass diese von ihr nicht abgelehnt wird und offensichtlich der Wunsch nach der Mutter als Betreuerin nicht nachhaltig fortbesteht.

In jedem Fall scheidet die weitere Beteiligte als Betreuerin aus, da ihre Bestellung dem Wohl der Betroffenen eindeutig zuwiderlaufen würde. Die sachverständige Stellungnahme vom 30.12.2002 hat bei der Betroffenen eine Entwicklungsverzögerung mit dem Ergebnis einer Persönlichkeitsstörung festgestellt, die sich offensichtlich über viele Jahre entwickelt und verfestigt habe. Einer weiteren gutachtlichen Äußerung vom 2.12.2002 ist zu entnehmen, dass Mutter und Tochter in extremem Ausmaß aufeinander fixiert sind und dass der intensive Kontakt zwischen beiden dem Gesundheitszustand der Betroffenen eher ab- als zuträglich ist. Aus den Akten ist durchweg eine nachhaltige Bevormundung der Betroffenen durch ihre Mutter ersichtlich. Die Bestellung der Mutter als Betreuerin würde es unmöglich machen, die Tochter in die Lage zu versetzen, künftig ein eigenständiges und selbst bestimmtes Leben zu führen. Angesichts der besonderen Situation zwischen Betroffener und weiterer Beteiligter ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Vormundschaftsgericht aus therapeutischen Gesichtspunkten nicht die Mutter als Betreuerin für ihre Tochter bestellt hat. Die Mutter ist nach Aktenlage nicht imstande, die Betreuung zum Wohl der Betroffenen zu führen; ihre Absicht, nur zum Besten ihrer Tochter handeln zu wollen, wird dabei nicht in Abrede gestellt.

c) Die Bestellung einer Berufsbetreuerin ist rechtlich nicht zu beanstanden, denn Personen, welche die Betreuung ehrenamtlich übernehmen könnten, stehen nicht zur Verfügung (§ 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB).



Ende der Entscheidung

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